Ergänzungen zum Artikel „Tabakfabrik: Mehr Glück als Verstand“ in den OÖN vom 26.01.

19. Februar 2013 von KommentierenEmpfehlen  

Der Artikel in den OÖN hat starke Reaktionen hervorgerufen. Gut so. Immerhin geht es bei der Entwicklung der Tabakfabrik um ein 10-15 Jahresprojekt, das schon vor 3 Jahren begonnen hat! Hier werden einmal Hunderte, wenn nicht Tausend Menschen leben und arbeiten, die Investitionen werden sich voraussichtlich auf Millionen im 3-stelligen Bereich belaufen. In Anbetracht dessen wird öffentlich noch wenig substanziell und sachlich diskutiert. Um aber ein Zukunftsraum, ein Raum der (gesellschaftlichen und sozialen) Innovation zu werden, muss die Fabrik auch ein öffentlicher Diskussions- und Verhandlungsraum werden. Bisher wurde meines Erachtens aber vorwiegend gute Werbung gemacht.

3100 Zeichen sind sehr wenig um die Komplexität der Thematik zu beleuchten … in einer Zeitung die von Hunderttausenden in ganz Oberösterreich gelesen wird. Folgend also ein Versuch den kompakten Artikel etwas ausführlicher, vor allem in Reaktion zu denzahlreichen Kommentaren, zu erläutern. Immer wieder enttäuschend ist übrigens das zum Teil niedrige Niveau der anonymen Postings, die nicht auf den Inhalt eingehen, sondern versuchen den Autor zu diskreditieren.

Scan: OÖN

Tabakfabrik: Mehr Glück als Verstand.
Seit einem Jahr geht viel weiter, nur die Prozessqualität muss gesteigert werden.

Ja, der Titel ist ein bissl reisserisch. Aber niemand wird persönlich beleidigt. Der Titel sagt auch in keiner Weise, dass alle verstandslos sind, sondern dass beim ersten Umbau, eben Bauteil 2, bisher eher von Glück gesprochen werden muss als von einer vielversprechenden Vorgehensweise. Das Glück ist das Engagement der Mietergruppe, deren Entwicklungsarbeit und das trotz aller Unbekannten und Schwierigkeiten. Ok. Wird schon gut gehen.  Aber was ist, wenn sich beispielsweise das Erdgeschoss nicht so entwickelt wie im vorgeschlagenen Konzept? Oder hat sich das Mieterkonsortium in irgendeiner Weise verpflichtet das mitgelieferte Konzept umzusetzen? Wie gesagt, es wird gut gehen. Siehe unten „mit Herz dabei“. Aber für den ersten Bauteil als Prototyp und Motor für die weitere Entwicklung mit einer Investition von 5 Millionen darf man sich nach 3 Jahren mehr erwarten. Vor allem im Bezug auf die (Prozess-) Qualitätssicherung.

Nach dem Kauf der Tabakfabrik durch die Stadt vor drei Jahren steht nun der erste Umbau im Areal an. Ab Mai ist im ehemaligen Pfeifentabakgebäude Baustelle, im Herbst sollen die Mieter einziehen. Mit dem Architekturbüro Kleboth Lindinger Dollnig, der Firma netural (digitale Kommunikation) und einem Entwicklungsraum für Einrichtungen (Heinz Hochstetter) arbeiten hier dann rund 100 Mitarbeiter aus dem Kreativbereich.
Die Stadt lässt sich die Adaptierung der insgesamt 3000m² annähernd 5 Millionen Euro kosten. Nach dem Vorbild der Van-Nelle-Fabrik in Rotterdam wird eine zweite, innenliegende Glashaut installiert. So sollen die Eingriffe in die denkmalgeschützte Struktur auf ein Minimum reduziert und dennoch zeitgemäße Wärmedämmung und Infrastruktur gewährleistet werden. Leitungen, Lüftung und Heizung/Kühlung werden in einem doppelten Boden und einer (inakzeptablen) abgehängten Decke geführt.

Die Decke ist insofern inakzeptabel, weil von der Substanz nicht mehr viel spürbar bleibt, außer den Säulen und den Fenstern. Insbesondere die Decken sind wunderschön und essentiell für den Charakter der Räume. Die neuen Einbauten mit flexiblen Büroeinheiten für Unternehmen müssen den Bestand wertschätzen und sensibel mit den Anforderungen der neuen Nutzer zusammengeführt werden. Auch nach dem Eingriff soll die offene Ausstrahlung erhalten bleiben. Neben den ästhetischen Überlegungen, ist die kommende abgehängte Decke aber auch Indiz und Symptom für eine zu hinterfragende Planung. Wessel de Jong, verantwortlich für den Umbau der Vorbild stehenden Van-Nelle-Fabrik in Rotterdam reduziert es auf einen Satz: „Choose or loose“. Eines, aber nur eines muss demnach den neuen Anforderungen „geopfert“ werden. In der Tabakfabrik Linz wird jedoch nicht nur der Boden, sondern auch die Decke verkleidet und somit geopfert werden. Das muss doch anders gehen. Verantwortlich dafür sind meines Erachtens zum einen Sachplaner mit überhöhten haustechnischen Anforderungen „auf Nummer Sicher“ und an den Kundenwünschen vorbei (siehe letzter Punkt), zum anderen der fehlende Wettbewerb, der eine Auswahl an (grundsätzlichen) Ideen produziert hätte.

Hartnäckigkeit der Gruppe
Soweit, so gut. Problematischeres zeigt der Blick hinter die Kulissen. So war das bisherige Verfahren mit zwei Jahren langwierig und darüber hinaus intransparent. Die jetzt angestrebte Vermietung ist nicht Folge eines Calls oder einer gezielten Suche nach Nutzern, sondern kam auf hartnäckiges Betreiben und dem mitgelieferten Konzept der Gruppe zustande. Darüber hinaus ist es fraglich, ob es sinnvoll ist, den am leichtesten zu verwertenden Bauteil (bzgl. Größe, Zugang, Zustand) als ersten in einem Paket zu vergeben. Teil des vergebenen Filetstücks ist auch das fürs Areal und den Hof so wichtige Erdgeschoss.
Ein Konzept für die gesamte Besiedelung ist für Außenstehende nach wie vor praktisch nicht zu erkennen. Das ist umso bedauerlicher, da der im Herbst 2011 jurierte Europan-Ideen-Wettbewerb diesbezüglich einige wertvolle Ergebnisse geliefert hat. Die Preisträger (aus Italien, Spanien und Österreich) wurden bisher nicht involviert. Statt eines geladenen Wettbewerbs für den konkreten Umbau wurde das zukünftig mietende Architekturbüro beauftragt.

Hier bemängelt ein Posting „Journalistische Grundsätze“. Ich bin kein Vollzeit-Journalist, sondern schreibe im Schnitt alle drei Wochen eine Architekturkritik in den OÖN. Das heißt, dass ich viel anderes mache und meine journalistische Tätigkeit ein Projekt von vielen ist. Es stimmt, dass ich (gemeinsam mit Sandra Gnigler und Gunar Wilhelm) einer der Europan-Preisträger bin. Das ist  tatsächlich ein gewisser Grenzgang meinerseits, der Hinweis musste aber inhaltlich hier angebracht werden, bleibt aber deswegen bewusst auch knapp. Der Europan wurde zum Zweck der Entwicklung der Tabakfabrik von der Stadt initiiert, hat (volkswirtschaftlich) ein Volumen von rund einer ¾ Million Euro und wurde rückblickend als „internationaler Touch“ und Mediengag missbraucht. Null Follow up.

Ein anderes Posting benennt den Vorwurf, ich hätte mich „in der Vergangenheit oft ins Spiel gebracht, wenn es um die Beauftragung der architektonischen Gestaltung der Tabakwerke ging“. Falsch. Und die Kritik gerade für einen offensichtlichen Insider erstaunlich. Es ging mir und meinen Mitstreiterinnen nie um Gestaltung sondern um den Prozess, die Prozessqualität. Sowohl „umbauwerkstatt“ als auch der Europan Beitrag „Ein Ensemble im Porträt“ beweist das.
Folgende Aussage desselben Postings ist erschreckend: „er kritisiert die Auswahl und zieht selber ein“ – Also den Hinweis, wenn man schon einzieht sollte man auch nicht kritisieren, sondern gefälligst die Schnauze halten. Das klingt allzusehr nach eingefahrenen (politischen) Mustern der Verteilung. Nehmen und Stillhalten.

linzukunft ist aber – so wie alle anderen Pioniere auch – in Anbetracht der marktüblichen Miete kein Profiteur, sondern Akteur. Und: Stillhalten stünde im krassen Widerspruch zum Konzept des künstlerischen Leiters Chris Müller. Wesentliches Kriterium für die Auswahl der Pioniere ist ihre potentielle Beteiligung am Aufbau der Tabakfabrik. In Anlehnung an den Begriff der Autopoiesis sollen die Pioniere die Fabrik aus sich selbst heraus schaffen. Kritik, auch öffentlich, ist Teil dieses Systems. Genau aus diesen beiden Vorwürfen heraus, also einerseits die jahrelange Beschäftigung mit der Tabakfabrik in der umbauwerkstatt und Europan, andererseits jetzt als Insider in der Tabakfabrik muss eine produktive Kritik möglich sein. Abgesehen davon, wer sollte die Kritik sonst vorbringen?

Das mag naheliegend sein und Zeit sparen. Auch ist das beauftragte Büro mit Herz an der ganzen Entwicklung der Tabakfabrik interessiert. Nur die Optik ist trotzdem schlecht und die Planungskultur bleibt auf der Strecke. Das tut der Tabakfabrik nicht gut und schmälert den Anreiz für engagierte Akteure.

2017 wird die Tabakfabrik und ihre Entwicklung nach der sogenannten Pioniernutzung an wenigen Faktoren gemessen werden: Wie viel pulsierendes Leben ist entstanden? Wie viel gesellschaftliche Innovation konnte hier entwickelt und getestet werden? Und inwieweit konnte die Tabakfabrik damit auf die Stadt, den Stadtteil, vielleicht den Osten der Stadt – der zukünftigen Hafenstadt – ausstrahlen?

Für diese Zielsetzungen einer Tabakfabrik als Zukunftsraum müssen von der Stadt als Eigentümerin des Areals Rahmenbedingungen für außerordentliche Möglichkeiten geschaffen werden: Zielvorgaben, Transparenz und Wettbewerb sind dafür essentiell. Die Rolle der Stadt als Bauherrin ist komplett zu überdenken. Dafür wird Linz mit so einem Raum des Nonkonformen, des Erfindens und Regelbrechens enorm dazugewinnen. Diese Art Tabakfabrik hält die Stadt Linz fit, schafft Kreativität und Innovation.

Zur Rolle der Stadt als Bauherrin: Das ist hier im Artikel tatsächlich zu verkürzt und schwer verständlich. Die Frage ist, wer eigentlich der Bauherr ist, wenn die Stadt baut? Sind es die Sachbearbeiter ( die auf „Nummer Sicher“ gehen und „nach Vorschrift“ agieren)? Ist es der gerade an der Macht befindliche Politiker, der in der Regel ein paar Jahre danach weg ist? Ist es ein Aufsichtsrat? Alle drei können im echten Sinne des Wortes keine Verantwortung übernehmen. Entscheidungsfindung wiederum ist systembedingt wenig Innovation fördernd. Dementsprechend ist das Resultat. Hunderte von Bauwerken in ganz Europa (oft auch um ein vielfaches teurer als geplant) sind Zeuge dafür. Linz ist da keine Ausnahme. Im Gegenteil. Deswegen hätte es hier einfach einen kleinen, geladenen Wettbewerb gebraucht.

Gestern habe ich folgendes im neuen Buch „Wir bauen ein Zukunftshaus“ von Oona Horx-Strathern gelesen: „Dieses Haus (L’Unité d’Habitation in Marseille), 1952 fertiggestellt, baute Le Corbusier auf Einladung des französischen Ministers für Wiederaufbau, der dem Architekten den traumhaften Auftrag gab, sich von allen Bauvorschriften unabhängig zu machen: „Sie stehen (…) über dem Gesetz. Sie sind der Richter dessen, was Sie tun, und Sie können nach Herzenslust Neues ausprobieren. Sie allein sind für das Gebäude verantwortlich.““ Das ist gemeint. Ganz normale Büros und ganz normale, standardisierte Wohnungen können irgendwo in Linz gebaut werden. Die Tabakfabrik sollte aber eben mit der Unterstützung der Politik, ein Labor sein, für die Anforderungen und nötigen Innovationen unserer sich wandelnden Gesellschaft. Das bedeutet meines Erachtens auch ein Sprengen allzuenger Normen und Vorschriften.

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